Lebensraumqualität in Handschuhsheim

Schutz des Handschuhsheimer Feldes – historischer Werdegang und Widerstände

Schon Anfang der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts unter Oberbürgermeister Robert Weber gab es Pläne für einen Autobahnzubringer durch das Handschuhsheimer Feld („Nordzubringer“). 1970 wurde in Heidelberg der erste „Generalverkehrsplan“ erstellt und vom Gemeinderat beschlossen. Er enthielt u.a. den Bau des sog. Kurpfalzrings. (Neckarbrücke mit Ausbau des Klausenpfads) und den Nordzubringer, beide verbunden mit einem riesigen Straßenkleeblatt, außerdem einen sechsspurigen Ausbau der Ernst-Walzbrücke verbunden mit einer Beseitigung der dortigen Straßenbahngleise. 

Der Nordzubringer wurde besonders durch den damaligen Oberbürgermeister Reinhold Zundel gefordert und damals insgesamt fünfmal vom Gemeinderat beschlossen, aber letztlich durch die Handschuhsheimer verhindert. Der Widerstand wurde vor allem vom Stadtteilverein und der Gärtnervereinigung getragen, unterstützt vom Obst- und Gartenbauverein, Bauernverband Heidelberg, Erzeuger-Großmarkt Bergstraße, Obst- und Gemüse-Erzeugergenossenschaft Heidelberg, Nutzwasserverband und vielen Handschuhsheimern. 

Tiefen Eindruck hinterließ eine von Willi Kücherer am 20. März 1966 organisierte Aktion, bei der der Verlauf des geplanten Nordzubringers durch brennende Autoreifen im Feld markiert und einer Gruppe eingeladener nordbadischer CDU-Politiker vom Studentenhochhaus im Klausenpfad aus gezeigt wurde. Auch in den Jahren danach tauchte der Plan eines Autobahnzubringers durch das Handschuhsheimer Feld immer mal wieder in verschiedenen Varianten auf. Er wurde jedoch durch eine im Laufe der Jahre immer breiter gewordene Allianz aus Gärtnern, Umwelt- und Naturschutzverbänden, Stadtteilverein, Bürger für Heidelberg und anderen Organisationen und Parteien verhindert. 

Das Handschuhsheimer Feld wurde zwar in den letzten Jahrzehnten durch verschiedene Planungen immer mehr beschnitten, eine Zerschneidung durch Straßen konnte aber verhindert werden. Der zentrale Bereich des Handschuhsheimer Felds ist nach wie vor wertvolles Gärtner- und Gartenland, Naherholungsgebiet und wichtiges Rückzugsgebiet für zahlreiche gefährdete Tier- und Pflanzenarten. 

 

Am 9.4.2003 beschloss der Gemeinderat, eine große Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU) für eine 5. Neckarbrücke durchführen zu beauftragen, bei der auch ein Nordzubringer untersucht werden sollte. In diesen Jahren entfaltete der Stadtteilverein eine rege Tätigkeit zur Verteidigung des Handschuhsheimer Felds. Martin Hornig, damals 1. Vorsitzender, nutzte jeden Neujahrsempfang und jede Kerweeröffnung, um den erschienenen Politikern ins Gewissen zu reden und den Schutz des Feldes ans Herz zu legen. Vor der Gemeinderatswahl 2004 führte der Stadtteilverein eine viel beachtete Befragung aller 240 Kandidaten mit 16 Fragen durch, die zu messbaren Änderungen in der Zusammensetzung des neuen Gemeinderats führte.

Die Wertigkeit des Handschuhsheimer Feldes in Hinblick auf die Lebensraumqualität der Bürger und Bürgerinnen

2004 ließ die Stadtverwaltung unter dem damaligen Umweltbürgermeister Dr. Eckart Würzner die UVU über eine Neckarbrücke durch das Flora-Fauna-Habitat Alt-Neckar und einen kleinen oder großen Nordzubringer durch das Handschuhsheimer Feld durchführen. Es wurden insgesamt neun Varianten von einer Hängebrücke über einen Radieseltunnel bis zur Optimierungsvariante untersucht. Das Ergebnis durch den Gutachter Dr. Schemel vom Büro für Umweltforschung, Stadt- und Regionalentwicklung, München war, dass eine 5. Neckarquerung durch das streng geschützte FFH-Gebiet nicht möglich ist, solange Alternativen zur besseren Verkehrsanbindung des Neuenheimer Felds nicht umgesetzt sind und dass das Handschuhsheimer Feld in seiner ökologischen Wertigkeit ähnlich wertvoll ist wie das Naturschutzgebiet Alt-Neckar. Eine nördliche Anbindung des Universitätsgeländes an die A5 über das Handschuhsheimer Feld wäre nicht möglich, ohne wichtige Teile des Handschuhsheimer Feldes zu zerschneiden.

Bereits im Zwischenbericht vom 26.11.2004 hatte die UVU den außerordentlichen Wert des Handschuhsheimer Feldes als „größtes zusammenhängendes (nicht von verkehrsreichen Straßen durchschnittenes) Erholungsgebiet in unmittelbarer Stadtnähe“ beschrieben. Die UVU hatte Erfolg: Auf dem Handschuhsheimer Neujahrsempfang am 6.1.2006 teilte Umweltbürgermeister Dr. Eckhart Würzner mit, dass der Nordzubringer nicht kommen wird, egal in welcher Variante.

Die UVU hatte mehrere wichtige Ergebnisse. Eines der interessantesten sind die Aussagen über die Wertigkeit des Handschuhsheimer Feldes. Die wissenschaftliche Bewertung führte aus, dass eine Straße durch das Handschuhsheimer Feld einen ähnlich schwerwiegenden Eingriff bedeuten würde wie der Bau einer Brücke durch das Europäische Naturschutzgebiet Alt-Neckar. Dazu wird in der Untersuchung erläutert:

„Die große Bedeutung des Handschuhsheimer Feldes für Erholung (hohe landschaftliche Erholungseignung) wird durch folgende Eigenschaften unterstrichen:

  • Kulturlandschaft mit hohem Erlebniswert (Vielfalt der Nutzungen, Eigenart)
  • Ruhe, Ungestörtheit, frische Luft: „Rückzugsraum“ für Menschen
  • Die stark ausgeprägte „Eigenart“ (der Charakter) des Gebietes wird durch die überwiegend klein strukturierte gartenbauliche Nutzung bestimmt.
  • Das Gartenland bietet dem Heidelberger Bürger die Möglichkeit, die Herkunft seiner – regional vermarkteten – Nahrung kennen zu lernen (durch Besichtigung der Anbauflächen, Beobachtung des Wachstums und der Ernte, Kauf vom Erzeuger).
  • Differenzierung des Landschaftsbildes: Teile als intensives Gartenland mit kleinteiliger Vielfalt der Gartenparzellen und Obstkulturen, 
  •   andere Teile – eher nördlich des Allmendpfades – weisen eher den Charakter einer offenen Landschaft auf.
  • In der Ebene einziges „Relikt“ einer zusammenhängenden Erholungslandschaft, die dicht besiedelten Wohnbereichen Heidelbergs unmittelbar zugeordnet ist.
  • Hohe Besucherfrequenz (besonders auf den Ost-West-Verbindungen: Allmendpfad, Mittelfeldweg, westliche Verlängerung des Angelweges)“

„Grund für die besondere Lebensraumqualität des Handschuhsheimer Feldes ist die Kleinteiligkeit seiner Nutzungen und die damit zusammenhängende hohe Vielfalt an pflanzlichen Strukturen auf kleinem Raum. Solche kleinräumigen landbaulichen Nutzungsstrukturen sind in Zeiten der industrialisierten Landbewirtschaftung mit ihren großen Schlägen extrem selten geworden.

Die Beeinträchtigungen der Tierwelt durch Überbauung und Zerschneidung von Lebensräumen sind im Handschuhsheimer Feld auch bei der günstigsten Trasse (mit Ausnahme des Nordzubringers als Tunnel) deutlich gravierender als die Beeinträchtigungen der Fauna durch die Neckarbrücke.“

Bei der Untersuchung der vier möglichen Varianten eines Nordzubringers kommt der Gutachter zu dem Ergebnis:
„Der große Nordzubringer als Tunnel („Radieschentunnel“) ist mit den geringsten Beeinträchtigungen der Umwelt verbunden. Gegen ihn – wie auch gegen den im Folgenden näher betrachteten kleinen Nordzubringer-  spricht jedoch die geringe verkehrliche Wirksamkeit (die hier jedoch nicht weiter thematisiert wird).“

 

 

Gegen den kleinen Nordzubringer durch das Handschuhsheimer Feld sprechen vor allem:

  • die gravierenden Störungen der sehr hohen landschaftlichen Erlebnisqualität des Handschuhsheimer Feldes. Dieser Raum ist ein für Heidelberg sehr bedeutsames, direkt an dicht bebaute Wohnsiedlungen angrenzendes Erholungsgebiet, das durch Ruhe und durch eine außerordentliche kulturlandschaftliche Vielfalt gekennzeichnet ist.
  • die erheblichen Beeinträchtigungen der Tierwelt mit ihren geschützten Arten, die sehr empfindlich auf die Belastungen durch Flächenentzug und Lebensraumzerschneidung reagieren.“

Eine aktuelle Untersuchung über die Vogelwelt Heidelbergs, insbesondere bedrohte Brutvogelarten, von Armin Konrad aus dem Jahr 2017 zeigt auf der Datenbasis von zehntausenden Vogelbeobachtungen, dass neben dem Naturschutzgebiet Alt-Neckar vor allem die zahlreichen Rückzugsgebiete des Handschuhsheimer Felds heute noch viele streng geschützte und vom Aussterben bedrohte Vogelarten wie Feldschwirl, Rebhuhn, Rauchschwalbe, Pirol, Wendehals, Gelbspötter, Bluthänfling und viele andere  beherbergen.

 

Lehrpfad Handschuhsheimer Feld – Landwirtschaft- und Gartenbau in der Stadt erfahrbar machen

Aufgrund der fehlenden landwirtschaftlichen Produktion in Stadtnähe ist es heute für viele Bürgerinnen und Bürger, insbesondere auch Kinder, nicht mehr möglich, die Erzeugung von Nahrungsmitteln direkt vor Ort erleben zu können. Deshalb werden Programme wie Bauernhofpädagogik aufgelegt und Informationen zur landwirtschaftlichen Produktion unter anderem in touristischen Lehrpfaden neu konzipiert. Im Handschuhsheimer Feld ist dies schon lange geschehen. Auf Initiative des Obst- und Gartenbauvereins Heidelberg-Handschuhsheim e.V. und der Gärtnervereinigung Heidelberg-Handschuhsheim e.V. wurde 2005 zusammen mit zahlreichen Experten und Organisationen ein Lehrpfad über das Handschuhsheimer Feld erstellt. Auf insgesamt 14 Schautafeln werden interessante Themen von der Historie des Handschuhsheimer Feldes über die verschiedenen Anbaumethoden, die Absatzwege der Feldprodukte bis hin zur ökologischen Vielfalt des Handschuhsheimer Feldes dargestellt.

Der Lehrpfad wird von Spaziergängern intensiv wahrgenommen und frequentiert. Zahlreiche Kontakte zu Schulen liefern einen pädagogisch wertvollen Beitrag, gärtnerische Produktion auch in der Stadt erlebbar zu machen.